
Soundtrack einer Megacity
Sieben Wochen zu Gast in Tokio – wie sie ihre Zeit als Trainee in der Konzernzentrale erlebt hat, berichtete Susan Kolac-Lang, Human Resources, bereits hier. Was sie im Alltag der Metropole außerdem noch beeindruckte, lesen Sie hier.

„Was vermisst Du am meisten hier in Tokio?“, wurde ich manchmal von meinen japanischen Kolleg*innen gefragt, als ich bei ihnen für sieben Wochen als Trainee zu Gast war. Kaum etwas, um ehrlich zu sein – ich fühlte mich wie ein „Fisch im Wasser“ und habe so viele neue Eindrücke aufgenommen, dass ich darüber gar nicht nachdachte.
Überrascht hat mich aber erneut die Intensität der Sinneseindrücke, die Tokio bereithält. Das hatte ich von meinen ersten beiden, kurzen Besuchen, sei es auf Dienstreise oder auf Urlaub, nicht mehr so stark in Erinnerung. Dass es dort nicht still und leise zugeht, kann man sich vorstellen – immerhin wohnen fast 14 Millionen Menschen in Tokio, und das Platzangebot ist überschaubar. Hier gibt’s aber richtig „was auf die Ohren“, denn diese Megacity hat ihren ganz eigenen „Soundtrack“:
Auf dem Weg ins Büro überquerte ich große Verkehrskreuzungen, die mit Ampel, Zebrastreifen und zusätzlichem akustischen Signal in Form eines „Kuckuck“-Klangs gesichert sind. Außer den virtuellen Vögeln sind da aber auch echte Krähen, die mit ihren typischen Rufen überall präsent sind und in Tokio regelrecht zur Plage geworden sind, da sie sich über den zur Abholung bereitgestellten Müll hermachen.
Einsatzfahrzeuge setzen nicht nur die üblichen Sirenen ein, sondern bitten zusätzlich per Megaphon noch um Vorsicht und Entschuldigung für die Unannehmlichkeit. In egal welchem Geschäft wurde ich freundlich und lautstark mit „Irasshaimase!“ willkommen geheißen. Im Shop selbst ertönt häufig neben der hauseigenen Erkennungsmelodie auch noch Werbung für zwei, drei Produkte oder Dienstleistungen – gleichzeitig und vernehmlich.
Angekommen im Großraumbüro, in dem sich etwa 120 Personen gruppiert zu 10er Inseln der Arbeit widmen, erklingt um 9:00 Uhr der Gong zum Arbeitsbeginn, zu Beginn und Ende der einstündigen Mittagspause und schließlich zum offiziellen Feierabend um 17:45 Uhr erneut. So sehr die Kolleginnen und Kollegen sich auch disziplinieren – ein bestimmtes Grundrauschen bleibt da nicht aus, hin und wieder begleitet durch ein zart ins Telefon gesprochenes „Hai, hai, haaai“ der Kollegin gegenüber, ein energisch-lautes der Kollegin hinter mir oder Anteil nehmendes, hörbar geäußertes Erstaunen („hööööh?“) nebenan, hinter mir durch das Hantieren mit den Metallschubladen der Schreibtische. Da gibt auch mein Noise Cancellation-Kopfhörer auf.
Es gibt besonders lebhafte Stadtteile wie beispielsweise Shibuya mit seiner berühmten Riesenkreuzung oder „Electric Town“ Akihabara, das neben zahlreichen Elektronikshops auch viele Cafés, Anime-Läden und Pachinko-Hallen bereithält – wenn sich deren Türen öffnen, dringt der Lärm der Spielautomaten auf die die Straße.


Einen Moment der Ruhe in dieser Stadt – wo finde ich den? Auch das vermeintlich „stille Örtchen“ ist Fehlanzeige, denn dort wartet – zumindest auf der Damentoilette – schon die „Otohime“ („Geräuschprinzessin“): ein Gerät, das sensorgesteuert Bachrauschen simuliert, damit frau ihr Geschäft von anderen ungehört verrichten kann.
Wo also kann man in dieser Metropole etwas Stille genießen?
Wenn man bei Tageslicht unterwegs ist, auf in den Garten eines Tempels oder Schreins. Dort ist es auch mitten in der Metropole angenehm ruhig, und der Landschaftsgarten spendet einen wohltuenden Moment der Ungestörtheit.
Aber was tun, wenn es zu Feierabend schon dunkel ist? Wo man es am wenigsten erwartet, herrscht plötzlich Stille: in der U-Bahn! Es gilt als verpönt, dort zu sprechen oder zu telefonieren. Entsprechend ruhig ist es, wenn man wie ich Glück hat und eine Metro-Linie nutzen kann, die nicht ganz so stark frequentiert ist. Scheinbar habe nicht nur ich das Bedürfnis nach einem ruhigen Moment – insbesondere Pendler mit langen Wegstrecken nutzen die Zeit gern für ein Nickerchen.
Nur Stationsansagen und die fröhlichen Jingles, die die Tokioter U-Bahn-Linien kennzeichnen, begleiten jeden Halt.
So gewöhnungsbedürftig der Soundtrack dieser Stadt war – ich liebe ihn und vermisse ihn sehnsüchtig, seitdem ich wieder zuhause bin!